encore.ch: Lächerliches Angebot von Tamedia

Die Gesuchstellerin ist die Tamedia Publications romandes SA in Lausanne, vormals als das Medienunternehmen Edipresse bekannt, heute eine Tochtergesellschaft der Tamedia AG. Sie hat am 19. Mai 2011 die Bildmarke „encore!“ beim Schweizerischen Institut fĂĽr Geistiges Eigentum (IGE) hinterlegt. Unter dieser Bezeichnung hatte sie gleichzeitig ein neues Lifestyle-Magazin ĂĽber Mode, Reisen, Design und Gastronomie lanciert, das als Beilage zur Matin Dimanche sowie der SonntagsZeitung erscheint.

Der Gesuchsgegner, Carl Kyril Gossweiler aus Buchillon (VD) bzw. Lausanne, ist ein freiberuflicher Marketingexperte mit langjähriger Erfahrung. Als Inhaber und GeschäftsfĂĽhrer der Hold’In SA, bzw. der CrĂ©aktion Concepts SĂ rl und der LAC-Live Art Club SĂ rl erarbeitet er fĂĽr Kunden kreative Konzepte und Werbemassnahmen und entwirft neue Produkte. Daneben hält er zwei Schweizer Marken im Bereich Mahlzeitenlieferdienst. Er lässt sich im Verfahren durch die Anwaltskanzlei Kasser Schlosser vertreten.

Der Domainname encore.ch wurde im Jahr 2005 durch den Gesuchsgegner registriert. Das Wort bedeutet soviel wie „noch (immer)“ oder „Zugabe“ auf Französisch und Englisch (im Sinne einer Zugabe, die am Schluss von AuffĂĽhrungen verlangt wird). Unter dieser Internetadresse befindet sich eine kĂĽnstlerisch-philosophisch anmutende weisse Seite mit dem Text „encore quoi ?“ bzw. „encore was ?“.

Am 30. März 2012 kontaktierte die Gesuchstellerin den Gesuchsgegner und bat um Übertragung des Domainnamens im Tausch gegen ein einjähriges Abonnement zweier Tamedia-Publikationen. Auch eine E-Mail-Adresse hätte der Gesuchsgegner behalten dürfen. Als er ablehnte, gelangte die Gesuchstellerin an die WIPO. Nach einem erfolglosen Schlichtungsversuch durch den Experten François Dessemontet wurde das Verfahren suspendiert und Daniel Kraus als neuer Experte eingesetzt.

Erwägungen und Entscheid

Die Gesuchstellerin ist der Ansicht, dass die Registrierung und Nutzung des Domainnamens eine Markenverletzung darstellt, auch aufgrund der dadurch geschaffenen Verwechslungsgefahr. Es bestehe auch kein Weiterbenutzungsrecht des vorbestehenden Domainnamens, da die Webseite inaktiv sei. Ausserdem verhalte sich der Gesuchsgegner unlauter und er schade durch dieses Cybersquatting dem Ansehen des Magazins und seines Herausgebers. FĂĽr Tamedia sei diese Blockierung des Domainnamens ein grosses Problem, da all ihre Publikationen eine eigene Webseite haben.

Der Experte bestätigt hingegen sämtliche Vorbringen des Gesuchgegners. Tatsächlich handle es sich um eine schwache Marke, die vom IGE nicht als Text-, sondern nur als Bildmarke zugelassen wurde. Ihr Schutzbereich sei derart begrenzt, dass Tamedia höchstens eine Verwendung in derselben Schriftart inklusive Ausrufezeichen für ein ähnliches Produkt verbieten könne. Und auch sonst gelte selbstverständlich das Weiterbenutzungsrecht des lange vor der Marke bestehenden Domainnamens. Auch den Cybersquatting-Vorwurf und ein unlauteres Verhalten verneint der Experte, schliesslich schädige das Bestehen des Domainnamens die Gesuchstellerin in keiner Weise. Er lehnt das Gesuch ab.

Bemerkungen

Tamedia macht sich hier gleich doppelt lächerlich:

Die angebotenen einjährigen Abonnemente zweier Tamedia-Publikationen hätte die Gesuchstellerin praktisch nichts gekostet und ist trotz eines Gegenwerts von rund 800 Franken kein ansprechendes Angebot. Tamedia wollte den Gesuchsgegner mit Almosen abspeisen. Es ist mehr als verständlich, dass er dieses Angebot abgelehnt hat. Angesichts des Reingewinns von 178.8 Millionen Franken im Jahr 2011 hätte sich Tamedia durchaus ein ernsthaftes Angebot leisten können; ein fünfstelliger Frankenbetrag hätte es schon sein dürfen, um den Gesuchsgegner zum Verkauf zu bewegen. Als Alternative bleibt immer ein Ausweichen auf eine andere, weniger attraktive Internetadresse, was Tamedia mit der Registration von encore-mag.ch, encore-magazin.ch, encore-magazine.ch, encore-publicationsromandes.ch und encore-tamedia.ch sowie die Pendants ohne Bindestrich (wobei unverständlicherweise nur www.encore-mag.ch zur Zeitschrift führt).

Daneben ist vollkommen unverständlich, wie Tamedia auf die Idee gekommen ist, sie hätten dank ihrer eben erst hinterlegten Marke eine bessere Berechtigung am Domainnamen als dessen langjähriger Halter. Dies zeugt einzig von vollkommen fehlender Kenntnis des Domainnamenrechts. Dass sie diesen Domainnamen fĂĽr sich monopolisieren möchten, erscheint auch angesichts des guten Dutzend älterer Schweizer „encore“-Marken, z.B. von Kraft Foods, Ford oder Adobe, komisch.

Sehr interessant ist schliesslich die Aussage des Experten, die schwache Marke von Tamedia könne sich allerhöchstens bei gleicher Schreibweise inklusive Ausrufezeichen gegen ein anderes Zeichen durchsetzen. Da Internetadressen keine Ausrufezeichen enthalten können, verweigert er der Marke damit faktisch einen Schutz im Zusammenhang mit Domainnamen.

WIPO-Verfahren Nr. DCH2012-0017, Entscheid vom 3. Oktober 2012

Kurzlink hierher: www.domainnamenblog.ch/wipo/encore.ch

1 Kommentar to “encore.ch: Lächerliches Angebot von Tamedia”

  1. […] Schneider berichtet in seinem «Domainnamenblog» ĂĽber das grosse Medienunternehmen Tamedia und dessen bemerkenswert […]

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