whselfinvest.ch: Börsen- und Immobilienhändler auf Abwegen

Die Gesuchstellerin WH SelfInvest S.A. ist ein im Jahr 1998 in Luxemburg gegründetes Unternehmen für Wertschriftenhandel und Vermögensverwaltung mit Niederlassungen in Belgien, Frankreich, Holland und Deutschland. Sie verfügt über eine Wort-Bild-Marke mit Datumspriorität vom 4. Februar 2011 und mit internationalem Schutz auch in der Schweiz. Eine frühere Marke, die sie im Jahr 1999 hinterlegt hatte, wurde nicht verlängert und lief am 28. Mai 2009 aus.

Der Gesuchsgegner Gert Hubatka aus Frauenfeld, eigentlich Gerhard Othmar Hubatka, ist ein langjähriger Börsen- und Immobilienhändler mit mehreren eigenen Unternehmen in der Schweiz und in Deutschland. Er hatte einen Vertreter der Gesuchstellerin auf einer Messe kennengelernt und diskutierte mit ihm in Folge einen allfälligen Markteintritt der Gesuchstellerin in der Schweiz unter seiner Leitung. Wenig später registrierte er den Domainnamen auf seinen Namen.

Der Domainname whselfinvest.ch wurde am 18. Februar 2008 registriert. Besucher werden automatisch zur Webseite trade-futures.de weitergeleitet (Bild), auf der wiederum der Gesuchsgegner – zusammen mit zwei Börsenhändlern – interessierten Leuten den Börsenhandel dank Lernvideo, Intensivseminar und Live-Zuschauen (natĂĽrlich alles gegen Bezahlung) näher bringen will. Primär geht es um den Handel mit „Futures“, eine Art von börsengehandelten Termingeschäften. trade-futures.de ist an derselben Adresse in Deutschland domiziliert wie seine Immobiliengesellschaft.

whselfinvest.ch

Ein knappes Jahr nach dem ersten Kennenlernen informierte die Gesuchstellerin den Gesuchsgegner, dass sie momentan nicht mehr am Schweizer Projekt interessiert sei. Vier Jahre später – der Gesuchsgegner besitzt den Domainnamen noch immer – fordert sie ihn auf, diesen zu ĂĽbertragen, und bietet ihm dafĂĽr eine Entschädigung von 1’600 Euro, welche seine rund um den Domainnamen entstandenen Kosten bei weitem decken.

Der Gesuchsgegner lehnte die Ăśbertragung jedoch ab und verlangte mit Verweis auf die damals eingeleiteten Vertragsverhandlungen einen Betrag von 10’000 Euro. Mit einer Zahlung von 1’600 Euro lasse er sich nicht abspeisen.

Die Gesuchstellerin leitet in der Folge das WIPO-Schiedsgerichtsverfahren ein. Die Schlichtungsverhandlung wird vom Experten Michael Treis erfolglos durchgeführt. Nun übernimmt die Expertin Theda Köniz Horowicz.

Erwägungen und Entscheid

Die Gesuchstellerin verweist auf Ihre Markenrechte und dass der Gesuchsgegner den identischen Domainnamen ohne ihre Einwilligung verwendet. Er profitiere dabei von ihrem guten Ruf und der Irreführung der Besucher, die fälschlicherweise eine Verbindung mit ihr annehmen. Damit sei sein Verhalten auch lauterkeitsrechtlich bedenklich.

Der von der renomierten Wirtschaftskanzlei Homburger vertretene Gesuchsgegner argumentiert, die bei der Registrierung geltende Marke sei mittlerweile ausgelaufen und habe wegen Nichtbenutzung [in der Schweiz, Anm. des Verfassers] sowieso keinen Schutz genossen. Sein Registrieren des Domainnamens habe im Vertrauen auf die zukünftige Geschäftsbeziehung stattgefunden und sei damit nicht missbräuchlich.

Die Expertin lässt seine Argumente nicht gelten. Die internationale Marke sei bei der Registrierung des Domainnamens  gültig gewesen und auch jetzt bestehe ein Markenschutz. Die Marke werde in verschiedenen Ländern benutzt und gelte auch in der Schweiz. Der Gesuchsgegner habe auch keinen Antrag auf Löschung der Marke wegen Nichtbenutzung gestellt. Die Expertin lässt die Frage der Lücke im Markenschutz offen, da die spontane Registrierung des Domainnamens ohne Rücksprache sowie das Weiterleitung auf die eigene Webseite für quasi identische Dienstleistungen auch die Bestimmungen des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb verletzen. Sie beschliesst die Übertragung des Domainnamens an die Gesuchstellerin.

Bemerkungen

Dem Entscheid ist vollkommen beizupflichten. Obwohl es verständlich ist, dass der ansonsten seriöse und gut situierte und etablierte Geschäftsmann den beklagten Domainnamen im Verlauf der Vertragsverhandlungen registrierte, um möglichen Dritten zuvorzukommen: Es berechtigt nicht, damit die Gesuchstellerin zur Gründung einer Schweizer Filiale oder eine Art Reuegeld zu zwingen. Ihm muss klar gewesen sein, dass er damit fremde Immaterialgüterrechte verletzt und den Domainnamen beim Nichtzustandekommen des Vertrags wieder freigeben muss. Korrekterweise hätte der Domainname von Anfang an auf den Namen der Gesuchstellerin eingetragen werden sollen.

Das WIPO-Schlichtungsverfahren um Domainnamen ist nicht der richtige Ort, um einen allfälligen vorvertraglichen Regressanspruch bezĂĽglich seiner Kosten im Vertrauen auf eine spätere Zusammenarbeit geltend zu machen (Stichwort: Culpa in Contrahendo). Dies scheint er auch gar nicht zu versuchen. Denn er verlangt nicht einen Ersatz seiner effektiven Kosten wie beispielsweise Reisekosten oder die jährlichen RegistrierungsgebĂĽhren fĂĽr den Domainnamen, sondern den scheinbar willkĂĽrlich festgelegten Betrag von 10’000 Euro.

In der Schweiz herrscht der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Jedermann kann frei entscheiden, mit jemandem eine Vertragsbeziehung einzugehen oder nicht. Dass geplante Geschäftsbeziehungen nicht zustande kommen, gehört zum Alltag. Beispielsweise werden regelmässig mehrere Offerten für dieselbe Leistung eingeholt, um sich danach für eine zu entscheiden. Allen Unternehmen entstehen dabei Kosten für das Erstellen der Offerte. Diese gehören jedoch zum Unternehmerrisiko und können nicht geltend gemacht werden. So auch im vorliegenden Fall.

WIPO-Verfahren Nr. DCH2013-0004, Entscheid vom 18. Juli 2013.

Kurzlink hierher: www.domainnamenblog.ch/wipo/whselfinvest.ch